Vom People Pleaser zur Enttäuschung

Vom People Pleaser zur Enttäuschung

Wir People Pleaser leben mit der ständigen Angst, eine Enttäuschung zu sein. Wenn wir den Erwartungen nicht gerecht werden, nicht alle Wünsche erfüllen und nicht allen gefallen, dann fürchten wir, zur Enttäuschung zu werden. Dabei müssen wir People Pleaser nur verstehen, dass es manchmal besser ist, zu enttäuschen als zu täuschen. 

Aber dafür müssen wir erst darüber sprechen, was eine Enttäuschung überhaupt ist.

Was ist eine Enttäuschung überhaupt?

Irgendwie haben wir alle Enttäuschungen schon am eigenen Leib erfahren. Vielleicht haben wir die Erwartungen unserer Mitmenschen nicht erfüllt und deren Enttäuschung zu spüren bekommen. Oft wird das auch direkt ausgesprochen: “Ich bin enttäuscht von dir!” Ein schlimmer Satz für jeden People Pleaser. 

Wir kennen aber auch selbst das Gefühl, enttäuscht zu werden. Jemand denkt an deinem Geburtstag nicht an dich; ist in wichtigen Momenten nicht für dich da; verhält sich nicht, wie du es von FreundInnen erwarten würdest; lügt und betrügt. Alles Enttäuschungen, die zum Leben dazugehören. 

Dabei denken wir aber selten darüber nach, was eine “Enttäuschung” überhaupt ist. Denn um enttäuscht zu werden, musst du dich erst täuschen. Du hast dich also in etwas oder jemandem getäuscht. Und dann passiert etwas, dass dich “enttäuscht”. Damit hörst du auf, dich in einer Sache oder Person zu täuschen. Du kennst jetzt die Wahrheit, die Täuschung ist zu Ende. 


Wenn man eine Enttäuschung so betrachtet – als das Ende einer Täuschung – ist sie eigentlich eine wirklich gute Sache. 

Deshalb stellt sich die Frage, warum wir als People Pleaser eine solche Angst davor haben, eine Enttäuschung zu sein. 

Warum People Pleaser oft Täuscherinnen sind

Wir haben schon viel darüber gesprochen, warum wir People Pleaser so sind, wie wir sind; warum wir Entscheidungen treffen, die gegen unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse gehen. Wir versuchen eben, es allen Recht zu machen, um allen zu gefallen. Dabei geht es oft auch darum, ja niemanden in unserem Leben zu enttäuschen. So leisten wir mehr, als wir sollen und wollen, um als perfekte People Pleaser dazustehen. 

Was wir dabei auch schon besprochen haben: Wir People Pleaser sind nicht so altruistisch, wie wir vielleicht glauben. Unser People-Pleaser-Verhalten hat nicht wirklich zum Ziel, dass es allen anderen gut geht. In Wahrheit geht es größtenteils um uns selbst: Wir wollen uns selbst vor Kritik, Zurückweisung, Beschämung, Konflikten und Verlusten schützen. Und wir glauben, dass wir People Pleaser sein müssen, um uns vor all dem zu bewahren. Vielleicht stimmt das auch, denn die People-Pleaser-Tendenzen haben vielen von uns in der Kindheit geholfen, mit schwierigen Umständen umzugehen. Es ist ein gelerntes Verhalten, das früher funktioniert hat, und auch heute noch funktioniert, um andere zufriedenzustellen. 

Dabei übersehen wir aber, was People Pleasing mit uns selbst macht: Wir kritisieren uns selbst, schämen uns für uns selbst, haben innere Konflikte und verlieren uns selbst aus den Augen. 

People Pleaser sind also idealen Täuscherinnen. Hinter der perfekten Fassade einer Person, die alles aushalten kann, alles schaffen kann, alles akzeptieren kann und es immer allen recht machen will, können wir uns gut verstecken. Damit verstecken wir unsere Gefühle, unsere Ecken und Kanten, unsere Bedürfnisse und oft genug unser wahres Ich. Denn wir wissen schließlich nicht, wie andere darauf reagieren würden. Oder wir glauben es zu wissen, weil wir früher schlechte Erfahrungen mit dem Ich-Sein gemacht haben. 

Wann es gut ist, andere zu enttäuschen

Nicht alle People Pleaser werden sich in dieser ganzen Liste an Täuschungen wiederfinden. Denn unsere People-Pleasing-Tendenzen sind mit Sicherheit unterschiedlich stark ausgeprägt. Die einen werden in speziellen Situationen und bei speziellen Personen zum People Pleaser und verlieren plötzlich jede Fähigkeit, Nein zu sagen. Die anderen sind ständig im People-Pleaser-Modus und versuchen immer, allen zu gefallen. Ob es nun um alle oder nur einzelne Menschen geht: Im Mittelpunkt steht oft, niemanden zu enttäuschen.

Tatsächlich kann es wirklich befreiend sein, jemanden zu enttäuschen, wenn es eine gute Enttäuschung ist. Das trifft immer dann zu, wenn jemand sich wirklich in dir getäuscht hat. Denn dann wird es höchste Zeit für eine richtig gute Enttäuschung! So muss sich die andere Person nicht länger täuschen. Und du musst nicht mehr versuchen, zu täuschen, um nicht zu enttäuschen. Das klingt ein bisschen abstrakt, deshalb ein paar Beispiele:

  • In der Arbeit wird immer wieder etwas von dir verlangt, das nicht deine Aufgabe ist. Oft genug hast du es trotzdem gemacht, jetzt lässt du die anderen wissen, dass du nicht zuständig bist. Sie sind enttäuscht, denn es war eine Täuschung, dass du überhaupt jemals dafür zuständig warst. 
  • Du bist zum Essen eingeladen und möchtest eine der Speisen nicht probieren. Sei es, weil du vegan bist, laktoseintolerant, allergisch oder einfach kein Fan eines Geschmacks. Die Gastgebenden sind enttäuscht, dass du nicht probieren willst. Sie haben sich darin getäuscht, dass du isst, was du nicht essen kannst oder willst.
  • Jemand aus deiner Familie erwartet, von dir jede Woche angerufen zu werden. Unabhängig davon, wie viel du gerade zu tun hast und wie wenig es zu bereden gibt. Lange hast du trotzdem angerufen, jetzt lässt du jede zweite Woche ausfallen. Die andere Person ist enttäuscht von dir. Sie hatte sich getäuscht und dachte, du würdest gerne jede Woche anrufen. Jetzt weiß sie, dass es für dich zu viel Stress bedeutet, öfter als jede zweite Woche anzurufen. 
  • Eine Freundin lädt dich immer wieder zu Events und Treffen ein, die dir keine Freude bereiten. Vielleicht bist du abends nicht gerne unterwegs, machst diese eine Aktivität nicht gerne oder magst die anderen Menschen nicht besonders. Oft bist du trotzdem mitgegangen, hast dich den ganzen Abend unwohl gefühlt und warst am nächsten Tag viel zu müde. Jetzt hast du deiner Freundin gesagt, dass du nicht gerne mitkommst, und dich lieber zum Kaffee zu zweit treffen willst. Deine Freundin ist enttäuscht, denn sie dachte, dass du genauso gerne bei diesen Treffen dabei bist. Ab jetzt trefft ihr euch gemütlich am Nachmittag zum Kaffeetrinken.

Diese Beispiele sollen dir zeigen, was eine gute Enttäuschung bedeuten kann. Denn dazu gehört nicht unbedingt, jemanden vor den Kopf zu stoßen. Es kann auch bedeuten, dich zu öffnen, ehrlich zu sein und dich zu zeigen, wie du wirklich bist. Das fällt uns People Pleasern schwer, aber ich sage es gerne immer wieder: Es gibt mit Sicherheit Menschen, die dich gerne genauso kennenlernen möchten, wie du wirklich bist. Bei ihnen musst du nicht täuschen, tarnen und lügen, um gemocht zu werden. Aber dafür musst du anfangen, eine Enttäuschung zu sein!

Keiner will sich in dir täuschen

Es ist schwer zu begreifen, dass du einfach anfangen kannst, andere zu enttäuschen. Und, dass es sogar etwas Positives sein soll. Sieh es also aus einer anderen Perspektive. Als People Pleaser bist du so darauf bedacht, niemanden zu enttäuschen, dass du anderen etwas vormachst. Das ist je nach Person unterschiedlich, aber kann zum Beispiel sein:

  • Du hilfst immer gerne und bist nie zu beschäftigt.
  • Du streitest nie, auch wenn du absichtlich genervt wirst.
  • Du bist für deine Arbeit jederzeit erreichbar, auch unbezahlt.
  • Du isst alles gerne und hast nie einen Wunsch, was gegessen wird.
  • Du freust dich über jedes Geschenk, denn es ist schließlich gut gemeint.
  • Du bist nie böse, wenn man zu spät kommt, dich sitzen lässt oder Ähnliches.
  • Du gehst immer gerne ans Telefon, auch, wenn du gerade wirklich viel zu tun hast.

Vielleicht fällt dir auf, was diese Beispiele gemeinsam haben: Es sind Verallgemeinerungen, die kaum stimmen können. Kein Mensch hilft immer gerne, streitet nie, ist jederzeit erreichbar, freut sich über alles, ist nie böse, und so weiter. Doch wir People Pleaser haben uns das unmögliche Ziel gesetzt, allen zu gefallen. Also müssen wir auch so tun, als wären wir diese perfekten Menschen, die nie irgendjemanden enttäuschen. 

Der Punkt ist aber: Die richtigen Menschen in deinem Leben, die sich interessieren, wollen nicht von dir getäuscht werden. Sie wollen deine Hilfe nicht nutzen, wenn es dir die letzte Kraft raubt. Sie wollen wissen, wenn sie dich wütend machen oder mit ihrem Anruf stören. Sie wollen dir mit Essen und Geschenken eine echte Freude machen. Durch dein People Pleasing kann es passieren, dass du ihnen diese Wünsche verwehrst, weil du ihnen vortäuscht, alles wäre immer in Ordnung. Dabei ist das doch wirklich unrealistisch, oder?

Gute und schlechte Enttäuschungen unterscheiden

Es gibt also durchaus gute Gründe, deine Mitmenschen manchmal zu enttäuschen. Natürlich bedeutet das nicht, dass du die Enttäuschungen ab jetzt so großzügig verteilen musst, wie bisher dein People Pleasing. Quasi von “allen gefallen” zu “alle enttäuschen”. 

Nein, es geht vielmehr darum, die guten von den schlechten Enttäuschungen zu unterscheiden. Dafür ist es wichtig, dich selbst und dein eigentliches Selbstbild etwas besser kennenzulernen. Als People Pleaser verlieren wir uns ja gerne mal selbst aus den Augen. Du kannst also anfangen zu beobachten: Wo habe ich getäuscht? Und wo möchte ich auf keinen Fall, dass ich zur Enttäuschung werde? 

Der Unterschied zwischen guten und schlechten Enttäuschungen ist also relativ einfach erklärt: 

Gute Enttäuschungen

Das ist der Fall, wenn sich jemand wirklich in dir getäuscht hat. Ob es zu hohe Erwartungen sind oder du einfach die falsche Ansprechperson bist: Jemand wollte etwas von dir und wird es zu Recht nicht kriegen. Er oder sie hat sich also in dir getäuscht – und ist jetzt enttäuscht. Dafür haben wir ja bereits einige Beispiele gehört. 

Schlechte Enttäuschungen

Hier geht es darum, dass du eigentlich nicht täuschen wolltest. Jemand möchte oder erwartet etwas von dir, dass dir wirklich wichtig ist. In diesen Fällen ist eine Enttäuschung nichts Gutes, denn sie passt nicht zu deinem wahren Ich. Wir People Pleaser gehen immer von diesem Fall aus, dabei ist er eigentlich viel seltener. Das kann beispielsweise sein:

  • Du hast den Geburtstag einer wichtigen Person vergessen. 
  • Du wusstest von einer Allergie und hast trotzdem etwas damit gekocht.
  • Du hast in der Arbeit eine wichtige Deadline für ein Projekt vergessen. 
  • Du hast angekündigt, anzurufen, und hast dann nicht mehr daran gedacht.

Wir gehen hier von Momenten aus, in denen es dir wirklich wichtig war, die Erwartungen zu erfüllen. Es ging nicht darum, dass du allen gefallen willst. Du wolltest wirklich an die Person denken, die Geburtstag oder eine Allergie hat. Das Projekt war dir eigentlich wirklich wichtig. Und auf den Anruf hattest du dich gefreut. Es war dir also ein tatsächliches Anliegen – und zwar nicht aus Angst vor einer negativen Reaktion, sondern aus tiefstem Herzen. 

Die Schwierigkeit als People Pleaser ist oft: Wir sind so beschäftigt damit, allen zu gefallen, dass wir unsere Prioritäten aus den Augen verlieren. Um weiter zu täuschen, werden wir zur Enttäuschung in den Fällen, die uns eigentlich wirklich wichtig wären.

3 Tipps, um eine gute Enttäuschung zu sein

Damit wir mehr gute und weniger schlechte Enttäuschungen erzeugen können, müssen also ein paar Tipps her. 

1. Erkenne, wo du gerne enttäuschen würdest – und wo nicht 

Am wichtigsten ist, die guten und schlechten Enttäuschungen zu unterscheiden. Jetzt geht es erstmal darum, wo du andere (endlich) enttäuschen willst. Als People Pleaser fallen dir wahrscheinlich schnell die ersten Punkte ein, in denen sich deine Mitmenschen in dir täuschen. Das sind genau die Momente, in denen du dich verstellst, um allen zu gefallen. Und das muss nicht sein!

Denk also an die Situationen, in denen du zum Beispiel gerne Nein sagen würdest, etwas absagen würdest, einen anderen Wunsch als die anderen hast oder du das Gefühl hast, es geht nie nach dir und immer nach den anderen. Genau hier kannst du üben, eine Enttäuschung zu werden. Beim nächsten Mal sagst du Nein, sagst ab, äußerst deinen Wunsch oder verlangst, dass sich nach dir gerichtet wird. Auch wenn du damit andere enttäuscht. 

2. Werde aus Prinzip zur Enttäuschung, um deine Werte zu vertreten

Am besten funktioniert das Enttäuschen, wenn es für dich ums Prinzip geht. Wenn du einen guten Grund hast, dann lebt es sich gleich viel leichter als Enttäuschung. Wir haben schonmal darüber gesprochen, dass People Pleaser ihre eigenen Werte oft nicht gut genug kennen oder vertreten. Ich glaube, dass unsere Werte und Prinzipien der beste Startpunkt sind, um das People Pleasing sein zu lassen. 

So ist es eben auch bei den Enttäuschungen. Denn wo deine Werte und Prinzipien liegen, da möchtest du doch wirklich niemanden mehr täuschen, oder? Hier darf jeder Mensch in deinem Umfeld wissen, was dir wirklich wichtig ist. Und wenn das nicht ihrem Bild von dir entspricht, dann lernen sie dich eben besser kennen. Wie gesagt: Die richtigen Menschen werden sich darüber freuen. 

3. Sprich die Enttäuschung explizit aus, um sie vorwegzunehmen

Wir suchen uns also bewusst gute Enttäuschungen aus, hinter denen bestenfalls unsere Werte und Prinzipien stehen. Das ist als People Pleaser nicht einfach, denn wir sind es ja gewohnt, allen zu gefallen. Es kann hilfreich sein, die Enttäuschung explizit auszusprechen, um ihr die Macht zu nehmen. Du musst natürlich nicht darauf herumreiten, wie schlimm das jetzt alles ist, aber ein kleiner Hinweis reicht, um zu signalisieren: Ich habe verstanden, dass das gerade nicht einfach ist, aber so ist es jetzt nunmal. 

Beispielsweise kann das sein: 

  • Auf die Gefahr hin, dass du jetzt enttäuscht bist, muss ich leider absagen. 
  • Ich weiß, das ist vielleicht eine Enttäuschung, aber ich gehe nicht gerne ins Kino. Vielleicht treffen wir uns stattdessen zum Abendessen?
  • Ich enttäusche dich nur ungerne, aber ich habe heute keine Zeit mehr für diese Aufgabe. Wenn das nicht zu spät ist, kümmere ich mich morgen darum. 
  • Es tut mir leid, aber da hast du dich getäuscht, denn ich kann dir nicht helfen.

Diese Sätze können allesamt abfedern, dass du jemanden enttäuscht hast. Damit nimmst du deinem Gegenüber auch die Macht, deine Enttäuschung gegen dich zu verwenden. Das machen viele Menschen aber sowieso nur unbewusst – oder es sind genau die Menschen, die du tatsächlich enttäuschen solltest! Denn wer sich gerne in dir täuscht, für den ist dein People Pleasing wahrscheinlich vor allem praktisch und gemütlich. 

Wenn du gerade people pleasen willst, dann hör gerne bei meinem Podcast rein, abonnier ihn und schau bald wieder auf meinem Blog vorbei.

Bis dahin: Mach’s gut – aber mach’s für dich selbst!

Quellen/Buchtipps:
„People Pleasing“, Dr. Ulrike Bossmann
„Du musst nicht allen gefallen“, Natalie Lue


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